Rotes Blut - Textesammlung




Prolog – Rotes Blut
Das Blut tropft aus der Wunde. Es rinnt über die Hände. Ein Geruch von Fäulnis und Rost liegt in der Luft. Vier dreckige graue Wände umranden das Geschehen.
Links. Rechts. Vorne. Hinten.
Im Rücken liegt die Tür. Die einzige Chance. Ein Schrei hallt wieder. Nur ein Sonnenstrahl kämpft sich durch die blinden Fenster. Der winzige Lichtfleck zeichnet sich auf den braunen, morschen Holzfußboden. Ein weiterer Schrei hallt durch den Raum. Das Messer bohrt sich durch die Brust. Rotes Blut färbt in einer großen Lache den Fußboden und sickert ein. Rotes Blut. Rotes Blut und der süße Duft von Tod.

Erste Geschichte
Roter Schnee

Es war stickig in dem Hausflur. Trockene Heizungsluft stand in dem kahlem, weißen Flur, von dem nur eine Treppe aus dunklem Holz aufstieg, die jeden zu verschlucken schien, der sie betreten wollte.
Ich öffnete die Knöpfe meiner schwarzen Jacke und lockerte den Schal aus Wolle, der immer zu kratzen begann, wenn mir warm wurde.
„Du gehst nicht schon wieder feiern!“, schrie eine heisere Frauenstimme von der anderen Seite der Treppe. Polternde Schritte und das schlagen einer Tür waren zu hören.
„Du hast mir nichts zu sagen!“, ertönte die Stimme eines jungen Mannes, er war mein Freund und liebte feiern zu gehen, es ebenso, wie ich. Die Tür, die eben laut zu geschlagen wurde, schien wieder aufgegangen zu sein, denn man hörte ein Quietschen. Mein Freund kam mir ärgerlichen Gesichtsausdruck die Treppe hinunter. Ich sah die Wut und Aggression in seinem Gesicht. Seine Mutter, der die heisere Frauenstimme gehörte, stürmte ihm nach und griff nach seinem Handgelenk. Sie sah mich kein einziges Mal an. In ihrem Gesicht spiegelte sich Ärger, aber auch die Enttäuschung über ihren einzigen Sohn, der so gut wie nie zu Hause war.
„Lass mich los!“ Er sah sie fest an und entriss ihr mit einem Ruck seinen Arm.
Wenn ich jetzt an das Geschehen zurück denke, dann hätte ich es vielleicht verhindern können, doch damals stand ich einfach in dem weißem, kahlen Flur mit der dunklen Treppe in der trockenen Heizungsluft.
In den Augen der Frau, die ich nur flüchtig kannte, spiegelte sich die Enttäuschung immer stärker. Ihre Stimme klang fast resigniert, als sie sprach: „Du kommst spät nachts nach Hause, wenn du überhaupt kommst und nicht mit irgendeinem Mädchen in fremden Betten landest. Warum lebst du eigentlich noch hier? Du bist wie dein Vater.“
Es knallte.
Trotz Heizungsluft schüttelte es mich. Die Frau meines Freundes taumelte zurück und fiel auf die Treppenstufe. Sie schrie nicht durch ihre Stimme. Ihre Augen schrien, vor Verzweiflung, Schreck und Angst. Angst um ihren Sohn.
Er stürmte an mir vorbei, raus aus der Wohnung. Ich warf einen letzten Blick zu der Frau, seine Mutter. Eine einsame Träne rann über ihre Wange. Kurz zögerte ich, doch dann wand ich mich ab und lief meinem Freund hinterher. Als ich draußen war, schlug mir die Kälte ins Gesicht. Es hatte wieder begonnen zu schneien. Schneeflocken wirbelten durch die dunkle Nacht und schmolzen an meiner warmen Haut.
Von weiten konnte ich seine breitschultrige Gestalt ausmachen. Ich rief durch die Nacht seinen Namen. Meine Rufe wurden von dem Schnee am Boden gedämpft. Meine Schritte beschleunigten sich und ich schlitterte über die glatte Straße. Er blieb nicht stehen und ging unbeirrten Schrittes weiter, als hätte er mich nicht gehört. Ich holte ihn ein und fasste ihn am Ärmel an: „Warte doch!“
„Was soll das werden?“, sagte er. Endlich blieb er stehen und sah mich an. Ich sah ihn unbeirrt an, auch wenn in seiner Stimme ein Unterton mitschwang, der mir nicht behagte: „Warum hast du das getan? Wie kannst du deine Mutter so angehen, sie schlagen?“
„Sie hat es doch provoziert und außerdem verdient sie es nicht anders!“, sagte er zu mir, jedoch war sein Blick von mir abgewandt. „Außerdem hat sie mir nichts mehr vorzuschreiben, ich bin volljährig.“
„Verstehst du sie nicht, sie hat doch nur Angst um dich“, entgegnete ich ihm.
„Sie hat mir nichts zu sagen! Dieses Miststück!“, schrie er durch die Nacht. Ich sah ihn entgeistert an und schubste ihn von mir fort. Er stolperte rückwärts auf die Straße und rutschte auf einer zugefrorenen Pfütze aus. Scheinwerfer tauchten aus dem dichten Schneegestöber auf. Ein lautes Hupen durchschnitt die stille Nacht. Fast zur selben Zeit das Quietschen der Bremsen, dann ein Aufprall. Der schmerzverzerrte Schrei tönt in meinen Ohren. Der Schnee wurde rot. Mit meinen Augen starrte ich auf den roten Schnee. Ich drehte mich um und rannte fort. In meinen Gedanken das Bild vom roten Schnee und der Schmerzensschrei.

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